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Potenzial Hochsensibilität


Hochsensible sind Suchende
Hochsensible Menschen sind auf der Suche: nach dem Sinn des Lebens, nach dem Sinn ihrer Existenz, nach dem Sinn ihres Tuns. Sie sind auf der Suche nach ihrer Berufung, nach dem Glück, nach mehr Echtheit, nach der Wahrheit, nach der Bedeutung hinter den Dingen ...
Die Sinnfrage ist zentral und lässt sich nicht dauerhaft und/oder ohne Schaden zu nehmen ausblenden.
Wo deine Gabe liegt, findest du deine AUFGABE(N)
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass jeder Mensch (mindestens) eine Aufgabe zu erfüllen hat. Diese kann er jedoch nur finden und erfüllen, wenn er so sein darf, wie er ist. Deshalb ist es mir so wichtig, dass möglichst viele Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten und / oder leben, von dem Phänomen der Hochsensibilität erfahren, denn nicht diese an sich ist das Problem. Zu Schwierigkeiten kommt es eher durch Nichtwissen, Ignoranz, Verdrängung oder Fehldeutungen- bzw. diagnosen.
Auch die im Mutterleib gemachten Erfahrungen von Verbundenheit einerseits und zunehmend autonomen Wachstums andererseits bestimmen unseren Lebenslauf: es sind die Ur-Sehnsüchte oder Grundbedürfnisse nach einer tragenden, sicheren Verbindung mit anderen und zugleich nach einer unabhängigen und freien Entwicklung. Um ein gesunder Erwachsener werden zu können, braucht es beides: eine sichere Basis und die Möglichkeit, sich von dieser zu entfernen, um eigene Erfahrungen und Fehler zu machen, Erkenntnisse zu sammeln, Grenzen zu spüren und über sich selbst hinaus zu wachsen - und natürlich die Möglichkeit, wieder zu dieser Basis zurück zu kehren, um Freud und Leid teilen zu können, Stärkung und Reibung zu erfahren, Schutz, Wärme, Akzeptanz und Bejahung seines So-Seins.
Laut Elaine N. Aron profitieren hochsensible Kinder in einem ganz besonderen Maße von einer günstigen Umgebung, zu der insbesondere eine kontinuierliche und sichere Bindungserfahrung zu mindestens einer Person gehört. Diese Erkenntnis wird auch durch die Resilienzforschung unterstützt.
Wo wir keine tragende und wohlwollende Verbindung zu uns selbst bzw. anderen haben oder eingehen können, entsteht Krankheit und Leid.
Durch ein Trauma verlieren wir z.B. den Kontakt zu uns selbst, unseren Körper, anderen Menschen und Lebewesen, zu der uns umgebenden Welt, zu unserer Spiritualität. Dieser Verlust muss nicht plötzlich und einmalig erfolgen. Oftmals stellt er sich allmählich ein - wir merken es nur daran, dass wir uns irgendwie nicht gut und unwohl in unserer Haut fühlen. Die Hintergründe und der eigentliche Vorgang bleiben verborgen: die Verminderung oder Zerstörung unseres Selbstwertgefühls, unseres Selbstvertrauens, die tiefe Erschütterung unserer Integrität und der Verlust der Lebendigkeit.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass Menschen und insbesondere Kinder von Ereignissen oder Situationen überwältigt werden können, die üblicherweise als normal und alltäglich gelten. Inzwischen ist erwiesen, dass die Aufeinanderfolge von scheinbar harmlosen negativen Erfahrungen, Situationen oder Ereignissen eine nachhaltige schädigende Auswirkung auf einen Menschen haben kann. Dies gilt in besonderem Maße für HSP´s.
Beruf oder Berufung?
Hochsensible sind oftmals "SpätzünderInnen". Sie finden erst spät zu Ihrer Aufgabe, ihrer Berufung. Vorher versuchen sie alles Mögliche, machen mehrere Ausbildungen, bilden sich darin weiter oder fort, hängen noch ein Studium dran, absolvieren noch einen zweiten oder dritten Studiengang, wechseln in ein anderes Metier, lesen Unmengen von Büchern ...
Nicht selten finden sie sich in der Rolle des Strebers und der Streberin wieder.
Aufgrund der Tatsache, dass viele hochsensible Menschen in ihrer Kindheit nicht als solche erkannt und ihr damit verbundenes So-Sein nicht anerkannt wurde, sie also mit ihrer besonderen Wahrnehmungskompetenz keine entsprechende Bejahung und Bestärkung erfahren konnten, sind sie in ihrem Selbstwertgefühl erschüttert und von ihrem eigentlichen Wesen getrennt. Die jahre- und jahrzehntelange Konditionierung auf das Außen und die damit einhergehende Verneinung der eigenen Wahrnehmungen, Empfindungen, Bedürfnisse etc. erschweren oder verunmöglichen sogar die Besinnung auf die eigenen Bedürfnisse, Fähigkeiten, Begabungen und Wünsche.
Es gibt eine Reihe Stolpersteine auf dem Weg zur Berufung und es ist ratsam, sich mit diesen einmal auseinander zu setzen und sich die Kunst der Selbstreflexion zu nutze zu machen.
Davon abgesehen: Der direkte, gerade Weg ist nicht unbedingt der beste, richtige, zielführende, erfolgreiche, passende ...!
Wenn ich als hochsensibler Mensch gern einmal innehalte oder ziemlich genau nach rechts und links, oben und unten schaue, bevor ich den nächsten Schritt mache, bin ich vielleicht langsamer als die anderen. Dafür falle ich nicht in die gut getarnte Grube oder finde eine Abkürzung. Das geht jedoch nur, wenn ich "bei mir bleibe", wenn ich den Mut aufbringe, meinen Impulsen, meiner Wahrheit und Wahrnehmung zu folgen. Und mit ein bisschen Glück wissen die anderen diese Qualitäten zu schätzen, so dass ich sie nicht nur zu meinem, sondern zum Wohle aller einsetzen kann.
Unsere Vorfahren - mögliche Rollen in früheren Zeiten
Das Phänomen der Hochsensibilität lässt sich inzwischen durch neuere Forschungsergebnisse vor allem um Elaine N. Aron herum auch bei Tierpopulationen beobachten bzw. nachweisen. So veranlagte Affen zeigen eine größere Zurückhaltung als andere Artgenossen, bei ihnen ist der sog. "stopp-und-schau-Mechanismus" stärker ausgeprägt, so dass sie z.B. Gefahren schneller wahrnehmen, sich Wegverläufe besser einprägen, Wasserquellen oder andere Ressourcen schneller finden, sensibler auf saisonale Bedingungen reagieren und entsprechende Impulse an die Gruppe weitergeben etc.
Georg Parlow u.a. vermuten, dass unsere hochsensiblen Vorfahren innerhalb ihres Stamms, ihrer Sippe bzw. ihres Volkes eine ähnliche Rolle spielten. Sie hatten spezifische Aufgaben wie z.B. das Finden eines guten Platzes zum Aufschlagen eines Lagers, die Anwendung von Heilkräutern (die sie sich von Tieren abgeschaut haben) oder die Deutung und Vorhersage von Naturphänomenen.
Wenn wir davon ausgehen, dass frühzeitliche Menschen sehr viel verbundener und ganzheitlicher gelebt haben, war das Zusammenspiel von Individuen, die über ein größeres und zugleich differenzierteres Wahrnehmungsvermögen verfügten, Muster und Rhythmen erkennen und interpretieren konnten, die Ab-Bilder erschufen, Zeremonien entwickelten, die voraussehen und -denken konnten, die Zusammenhänge herstellen und übertragen konnten und Individuen, die über Tatkraft, Ausdauer, Schnelligkeit, praktisches Geschick, vielleicht auch Risikofreude oder einen gut entwickelten Jagdinstinkt verfügten überlebenswichtig. Beide "Typen" und deren zahlreichen Variationen sicherten durch ein gleichwertiges Zusammenspiel den Fortbestand der Gruppe.
Meines Erachtens übernahmen unsere Vorfahren zwei ganz wesentliche Funktionen: die eines Frühwarnsystems und die der Herstellung einer Metaebene. Vielleicht waren bei ihnen Verstand und Abstraktionsvermögen einerseits, sowie intuitive, emotionale, kreative und/oder spirituelle Fähigkeiten andererseits besonders stark ausgeprägt und miteinander verbunden, so dass sich dem entsprechende Rollen innerhalb ihrer Gruppe oder ihres Volkes herausbilden konnten.
Parlow nennt folgende Bereiche, die sich um Laufe der Zeit herauskristallisiert haben könnten: Priestertum (Spiritualität), Kunst (Kreativität) und Wissenschaft (Kognition) sowie Überlieferung, Bewahrung, Archivierung und Heilung.
Hochsensibilität im gesellschaftlichen Kontext heute


Wenn wir uns Verhaltensweisen oder Merkmale hochsensibler Menschen anschauen, können wir feststellen, dass es eine ganze Reihe davon gibt, die weniger gut zum herrschenden Duktus passen. Unser Leben hier auf der vermeintlichen Sonnenseite des Globus´ wird im Wesentlichen vom Diktat des "höher-schneller-weiter" und "am-besten-alles-sofort" bestimmt. Grenzenloser Konsum, grenzenlose Ressourcen, grenzenloses Wachstum. Wir leben in der sogenannten Informationsgesellschaft, die über viel oberflächliches (Halb-)Wissen verfügt, jedoch so gut wie nichts davon umsetzt. Deshalb muss auch eine ganze Menge verdrängt werden - wir leben in einer Verdrängungskultur, zu der sich eine ungute Trennungskultur gesellt: dafür sind wir nicht zuständig, da hört mein Wissensgebiet auf, das ist privat, das ist für Kinder, hier leben nur SeniorInnen usw. usf.
Um mitzubekommen, dass Einiges nicht rund läuft und wir dabei sind, unsere elementaren Lebensgrundlagen irreparabel zu schädigen ohne zu wissen, was das wirklich für uns und unsere Kinder und Enkelkinder bedeutet, muss man keine großen Anstrengungen unternehmen. Anstrengend ist die tägliche Verleugnung und Verdrängung und die damit einhergehende kollektive Entfremdung.
Da hochsensible Menschen schneller reizbar sind und weniger Reize benötigen, die zudem nicht übermäßig stark sein müssen, liegt die Schlussfolgerung auf der Hand, dass sie auch heute noch ein gesellschaftliches Frühwarnsystem darstellen: ihr Körper und ihre Psyche reagieren schneller und unmittelbarer auf ungünstige Bedingungen, sie sind anfälliger für Stress, sie machen nicht schnell aber gründlich, gewissenhaft und weitsichtig. Darüber hinaus denken viele von ihnen nach, bewegen sich auf der Metaebene und durchschauen Zusammenhänge. Sie stellen sich und anderen Fragen und wollen etwas besser oder schöner machen, wollen vielleicht sogar Schlimmeres verhindern. Sie schaffen Oasen, gute Beispiele und lebenswerten Raum für sich und andere. Sie finden (kreative) Lösungen, setzen auf Nachhaltigkeit und immer wieder auf das "Gute im Menschen".
Das "Richtige" im "Falschen" tun: Bedeutet ein psychisches und / oder physisches Leiden an den aktuellen Umständen nicht eigentlich gesund zu reagieren auf ein krankes System?
Ich könnte mir vorstellen, dass HSP nicht so gut und effektiv verdrängen können, wie normalsensible, da sie weitaus häufiger "erinnert" oder konfrontiert werden und es ihnen aufgrund ihrer besonderen Wahrnehmungsfähigkeit ständig überdeutlich aufs Brot geschmiert wird. Konsequente Verdrängung führt hier sicherlich zu dem einen oder anderen bekannten Krankheitsbild.
Ich denke, der Schlüssel liegt darin, sich nicht als defizitär zu empfinden, wenn ein Mithalten nicht möglich ist oder auch gar nicht sinnvoll erscheint. Statt sich minderwertig, klein, falsch und unfähig zu fühlen, könnte hieraus genau so gut eine Stärke erwachsen. Eine (gesellschaftliche) Kraft, die Grenzen deutlich aufzeigt, die dann ernst genommen statt verdrängt werden. Dazu müsste sich jedoch ein Bewusstsein bilden, das über den eigenen, individuellen Horizont hinausgeht und sich verbunden fühlt. Ein Paradigmenwechsel kann nur von Menschen eingeleitet werden, die einen Sinn und eine NotWendigkeit darin sehen.